Leseproben

Leseprobe aus Band 1 – Katharina – Wir haben doch uns

Prolog

Es war alles sicher, es war alles gut. Wir hatten uns und die Zeit zog über uns hinweg wie ein Vogelschwarm im Herbst, und ließ uns ihr atemlos folgen, ohne Sinn und Verstand und wir vergaßen dabei, was das Wichtigste war für unser kurzes Dasein auf dieser Erde: Liebe, Verstehen, Vertrauen.

Doch dann kam ein Moment, da hatten wir das Gefühl, dass wir ins Stolpern gerieten. Es war nur ein kurzer Moment, aber er brachte Angst, Lügen, Misstrauen und Tod. Dieser eine Moment drohte unsere Welt zu zerstören.

Wir waren satt vom vielen Glück, bis die bösen Dinge sich von unserem Glück nährten und uns hungrig zurückließen.  Niemand nahm es wahr. Erst als die Schreie unsere Körper verließen, hörten wir uns zu.

1

Der neue Tag sandte seine ersten Sonnenstrahlen mit einem Lächeln über das erwachende Dorf.

Niemand ahnte, dass am Abend das Lächeln der Sonnenstrahlen von der Maske des Bösen abgelöst würde.

Es war Freitag und der Wecker auf Katharinas Nachttisch zeigte sieben Uhr. Das laute Rasseln unterbrach abrupt ihren traumlosen Schlaf. Zielsicher mit dem rechten Zeigefinger auf der Stoptaste beendete sie das unangenehme Geräusch.  Vorsichtig blinzelte sie sich in den Morgen hinein. Sie wohnte allein in dem Haus, seitdem ihr Vater ausgezogen war. Er hatte sich über den Büroräumen seiner Firma eine kleine Wohnung eingerichtet.

Ihre müden Augen führten sie zu dem Foto an der gegenüberliegenden Wand. Es zeigte sie zusammen mit ihrer Freundin Maria vor drei Jahren auf der Frühjahrsmesse in der Stadt. Sie hatten beide ein Lebkuchenherz um den Hals. Mit der gleichen Aufschrift ‚Freunde für immer‘.

Ihr Blick wanderte weiter zu dem daneben hängenden Kalender.

Heute ist der 28. Juli, ein Freitag.

Ihr Herz machte einen Freudensprung.

Dann kommt Maria endlich zurück aus Göttingen. Wie jeden Freitag wollten sie sich oben an der Hütte am See treffen. Tratschen über das, was in der Woche alles passiert war. Vielleicht noch eine Runde schwimmen. Und Lachen. Maria lachte gerne. Sie war der Gegenpol zu Katharinas ruhigen Art. Wahrscheinlich verstanden sie sich deshalb so gut.

Sie hatten vereinbart, dass Maria sofort anruft, wenn sie vom Studienort wegfährt.

Von den Gedanken beflügelt, dass Maria in ein paar Stunden wieder hier war, stieß sie die Bettdecke mit den Füßen von sich und mit einem Schwung kam sie auf der Bettkante zum Sitzen. Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln, trat ans Fenster und schob die Gardinen auseinander. Sogleich wärmte die Morgensonne ihr Gesicht.

Nach dem Duschen verführte ihre gute Laune sie dazu, einen blauen Rock anzuziehen, der, für sie ungewohnt, viel Bein zeigte. Ein weißes T-Shirt und die langen dunkelblonden Haare machten sie, nach einem Blick in den Spiegel, zufrieden mit ihrem Aussehen. Die kleine Narbe am Kinn, nach einem Sturz mit dem Fahrrad, störte sie längst nicht mehr. Zur Belohnung schenkte sie sich ein Lächeln.

Nach einer Tasse Kaffee und einer Scheibe Toastbrot trat sie unbeschwert und zufrieden den Weg zur Arbeit an.

Der Sekretärin, Frau Müller, fiel gleich die gute Laune von Katharina auf, als diese sie, ungewohnt, mit einer Umarmung begrüßte.

„Du bist ja richtig übermütig!“

Sie riskierte einen Blick auf Katharinas kurzen Rock.

„Und dann noch so schick angezogen.“

„Heute kommt ja Maria wieder“.

Frau Müller lachte.

„Da werdet ihr wieder genug zu tratschen haben“.

„Davon kannst du ausgehen“, lachte Katharina zurück.

Mit tänzelnden Schritten ging sie zu ihrem Schreibtisch, stellte den Computer an und versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Doch immer wieder sah sie auf ihr Handy. Aber Maria meldete sich nicht.

Es ist ja auch noch früh, tröstete sie sich.

Endlich kam der ersehnte Dienstschluss. Katharina räumte ihren Schreibtisch auf und Frau Müller wünschte ihr einen vergnügten Abend.

Sie verabschiedete sich von ihrem Vater und der Sekretärin, und der Blick auf ihre Uhr sagte ihr, jetzt sind es noch vier Stunden bis zum Wiedersehen mit Maria. Da war es wieder, das sehnsüchtige Warten auf ihren vereinbarten Anruf.

Maria lebte ihren Traum und studierte Theologie. Sie wollte wie ihr Vater Pfarrerin werden und war bereits im letzten Semester.

Katharina arbeitete eigentlich gerne in der Firma ihres Vaters.

Doch immer wieder überfiel sie der Gedanke:

Soweit könnte ich auch sein.

Nach dem plötzlichen Tod der Mutter vor sieben Jahren bat sie ihr Vater, in der Firma mitzuarbeiten. Und sie wollte ihn nicht enttäuschen. Ihr Traum von einem Literaturstudium musste zurückstehen.       

 

In ihrer Wohnung angekommen, schaute sie gleich wieder auf ihr Handy. Immer noch keine Nachricht, kein Anruf. Um sich abzulenken, ging sie hinüber zu ihrer großen Bücherwand, die so vollgestellt war, dass kaum noch neue Bücher hineinpassten. Doch Lesen und Literatur waren die große Leidenschaft von Katharina. Sie nahm den angefangenen Krimi „Meerjungfrau“ von Camilla Läckberg heraus, entfernte das Lesezeichen und machte es sich im Sessel bequem.

Das ganze spielte im schwedischen Fjällbacka. Ein Ort, den sie kannte, und so waren ihr viele Schauplätze darin sehr vertraut. Der Hafen mit hunderten von kleinen und großen Motor- und Segelyachten, der Ingrid-Bergmann-Torg und der imposante Vetteberget-Felsen. An der dortigen Kungsklyfta wurden Teile des Films Ronja Räubertochter gedreht. Das war als Kind Katharinas Lieblingsfilm, den sie sich oft mit Maria angeschaut hatte.

Trotz des spannenden Verlaufs der Handlung, der Kommissar hatte gerade eine Frauenleiche entdeckt, schaute sie immer mal wieder auf ihr Handy. Aber nichts. Als sie draußen plötzlich lautes Hupen vernahm, tat sie schnell ein Lesezeichen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. War es Maria, die früher gekommen war, um sie zu überraschen? Sie schaute aus dem Fenster, aber es war nicht Maria.

Dann wieder der Blick auf die Uhr. Katharina erschrak. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Es war bereits kurz vor siebzehn Uhr. Und kein Lebenszeichen von Maria. Sie konnte sich jetzt nicht mehr auf das Lesen konzentrieren. Warum meldete sie sich nicht? Sie wählte bei den Kontakten Marias Nummer und während des Wartens spielte sie mit einer Haarsträne. Sie hoffte, Marias Stimme zu hören. Doch nichts geschah. Sie drückte auf Ende.

Wo bist du Maria?

Vielleicht wussten Marias Eltern mehr? Sie drückte sogleich bei den Kontakten die Nummer des Pfarrers. Kaum hatte dieser sich gemeldet, schoss sie ihre Fragen ab.

„Ist Maria schon da? Hat sie sich gemeldet? Weißt du wo sie ist?“

„Sie ist noch nicht bei dir? Bei uns hat sie sich nicht gemeldet“, war seine wenig hilfreiche Antwort.

„Was soll ich jetzt machen?“ Katharina war verzweifelt. „Ich komme mir so hilflos vor.“

Marias Vater versuchte sie zu beruhigen.

„Vielleicht steckt sie im Stau und der Akku ist leer. Sie wird sich schon melden.“

Die Worte des Pfarrers konnten sie nicht wirklich besänftigen. Der Pulsschlag erhöhte sich und wie ein Schutzschild schlang sie die Arme um ihren Körper.

Mit großen Schritten ging sie in der Wohnung auf und ab, um ihren Puls auf Normal zu bringen. Und immer wieder der Blick zum Handy und zur Uhr. Mitten in diese Ungewissheit hinein klingelte ihr Handy. Sie rannte sofort zum Tisch, nahm es auf und meldete sich.

„Maria, endlich. Weißt du, was ich mir für Sorgen . . .“

Weiter kam sie nicht.

„Ich bin es, dein Vater. Ich wollte dich nur noch etwas Geschäftliches fragen.“

Katharina kniff die Lippen zusammen und seufzte.

„Ich habe jetzt keine Zeit. Maria meldet sich nicht.“

Bevor ihr Vater Fragen stellen konnte, beendete sie das Gespräch.

Bis zum üblichen Treffen um achtzehn Uhr war es nur noch eine halbe Stunde. Und so entschloss sich Katharina, nicht länger in der Wohnung herumzulaufen, sondern sofort loszugehen. Sie bedauerte, in diesem Moment kein Auto zu haben. Aber sie brauchte keins für den kurzen Weg zur Arbeit. Sonst nahm Maria sie immer mit. Länger als eine Viertelstunde würde sie aber nicht brauchen.

Nicht nur die warmen Temperaturen brachten sie zum Schwitzen. Ihre Schritte wurden immer schneller und  vielleicht wollte Maria sich nur einen Scherz mit ihr erlauben. Obwohl dies eigentlich nicht ihre Art war.

Leseprobe aus Band 2 – Katharina – Blaugelbe Träume

Dienstag, 24. April

Kapitel 1

Auch am heutigen Morgen führte sie der Weg vom Kiosk hinunter zum Strand in der Källviken Bucht. Die letzten Schneereste zerflossen in der milden Frühlingssonne. Vom sandigen, aufgeweichten Weg führte ein kleiner Hang hinunter zu der großen Wiese, dessen sattes Grün im Sommer einen schönen Kontrast zu dem blauen Meer bilden würde. Jetzt lagen die kurzen, grauen Halme wie festgeklebt im schmutzigen, nassen Erdreich. Gemächlich rollten die sanften Wellen vorsichtig über den Strand zurück ins Meer.
Mit den Schuhen in der Hand ging Katharina barfuß durch den feuchten Sand hinüber zu den kleinen Felsen. Sie setzte sich und schaute hinaus in die Weiten der Stockholmer Schären. Der Blick über das Wasser gab ihr das Gefühl, die Welt vergesse für einen Augenblick sich zu drehen. Eine wohltuende, angenehme Ruhe verströmte sich in ihrem Körper.
Sie dachte nur noch selten an Zuhause. Hier auf der kleinen Schäreninsel Grinda lebte sie bereits seit acht Monaten. Umgeben von Menschen, die ihr Tag für Tag vertrauter wurden. Ihre Freundin Birgitta bemühte sich, ihr das Leben so erfreulich wie möglich zu gestalten. Am Wochenende, wenn der Kiosk mit dem Café öffnete, half sie mit und genoss den Kontakt mit den zufriedenen Gästen. Während der Woche las sie viel, überwiegend Schweden-Krimis. Dadurch wurde ihr die neue schwedische Heimat noch vertrauter.
Da gab es noch Erik, Birgittas Bruder. Aus der schwärmerischen Jugendliebe war die erste große Liebe ihres Lebens erwachsen. Dies galt für Beide. Auch wenn er durch seinen Beruf sehr oft in Europa unterwegs war, waren die Tage, die er auf der Insel mit ihr verbrachte, gefühlvoll, romantisch und von träumerischen Gedanken an eine gemeinsame Zukunft geprägt. Sobald sie an ihn dachte, schlug ihr Herz schneller. Schloss sie die Augen, spürte sie, wie seine Hände sich zärtlich über ihre Haut bewegten.
Der Signalton der einlaufenden Fähre ließ sie einen kurzen Blick auf ihre Uhr werfen. Jetzt musste sie rasch zurück. Birgitta wollte mit ihr besprechen, welche Waren sie in Stockholm noch zu besorgen hatten. Ab dem ersten Mai startete die neue Saison, und der Kiosk würde die gesamte Woche über geöffnet sein.
Katharina erhob sich, ging zurück zur Wiese, befreite ihr nackten Füße vom nassen Sand und zog sich die Schuhe wieder an. Dann breitete sie die Arme aus, schaute zum sich langsam öffnenden Wolkenhimmel, lächelte. Ihr täglicher Gruß hinauf zu Maria.